1 Einleitung
Ähnlich
wie 1990 war auch während des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1941
das Gebilde Jugoslawien von der Karte Europas verschwunden. Am
Ende dieses Jahrhunderts ist dieses Land der Südslawen in
mehrere, selbständige Staaten auseinandergebrochen. Im
darauffolgenden Bürgerkrieg suchten die Regierungen der aus der
Asche Jugoslawiens erstandenen Länder so viel als möglich vom
ehemaligen jugoslawischen Gebiet für sich zu gewinnen. Sowohl
serbische als auch kroatische Nationalisten träumten von einem
Grossreich, welches sie schliesslich nicht verwirklichen konnten.
Stattdessen kam unnötiges Leid über die südslawischen Völker. Doch wie bereits erwähnt war der Staat Jugoslawien schon einmal in diesem Jahrhundert zerbrochen. Das damals noch junge Jugoslawien war am Ende des Ersten Weltkrieges aus den ehemaligen Gebieten des Habsburgerreiches Slowenien, Kroatien und Bosnien und dem unabhängigen Königreich Serbien zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zusammengefügt worden. Der im 19. Jahrhundert aufgeflammte Wunsch verschiedener Gruppierungen nach einem gemeinsamen Staat der Südslawen hatte damit seine Verwirklichung gefunden. Bereits vor der Gründung dieses Staates gab es Kritiker, vor allem auf kroatischer Seite, die vor der Übermacht der Serben warnten. Der Versuch, einen Staat aus den katholischen, ehemals habsburgischen Gebieten Slowenien und Kroatien zu bilden, war an der Absicht Italiens, das Küstengebiet Kroatiens zu besetzen, gescheitert. Zu schwach um sich den herannahenden italienischen Truppen entgegenzustellen, schlossen die Kroaten und Slowenen den Bund mit ihren südslawischen Brüdern, den Serben, zu einem gemeinsamen Staat. Die anfängliche Begeisterung für das neue Königreich in allen Teilen des Landes nahm ein jähes Ende, als sich herausstellte, dass sich die Befürchtungen bezüglich eines Überhandnehmens des Serbischen bewahrheiteten. Es bildeten sich militante Oppositionsbewegungen, wie die kroatische Ustascha (gleichbedeutend mit Freiheitskämpfer oder Aufständischer) und die mazedonische IMRO (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation) sowie gemässigte, wie die kroatische Bauernpartei. Diese Parteien strebten das Ende Jugoslawiens und die Unabhängigkeit ihrer Völker an. Diese dadurch verursachten inneren Spannungen drohten, das Land zu zersprengen. Nach langen Verhandlungen konnte unter Einwirkung äusserer Umstände im Jahre 1940 eine zumindest für Kroatien befriedigende Zwischenlösung innerhalb des jugoslawischen Staatsverbundes gefunden werden. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Einmarsch der Achsenmächte in Jugoslawien machten diesen schwer errungenen Kompromiss wieder zunichte. Jugoslawien, von den Achsenmächten militärisch erobert, verlor die von den Oppositionsbewegungen bekämpfte Staatlichkeit und wurde neu aufgeteilt. Unter der Regie Italiens und Deutschlands entstand aus den Gebieten Kroatiens und Bosniens der „Unabhängige Staat Kroatien“ unter der Führung der Ustascha. Die
Geschichte des Unabhängigen Staates Kroatien soll auf den
folgenden Seiten anhand der Quellen des schweizerischen Vertreters
in Zagreb, Friedrich Kästli, und unter Beiziehung von Sekundärliteratur
dargestellt werden. Dabei wird die Sicht Kästlis zu den einzelnen
Themen besonders berücksichtigt. Kästli, ein erfahrener Konsul,
schildert in seinen Berichten an das Eidgenössische Politische
Departement die wechselhafte innere Situation Kroatiens.
Diesbezüglich muss noch erwähnt werden, dass wesentliche Lücken
in der Berichterstattung Kästlis bestehen. Dies aus folgenden
zwei Gründen: Zum einen funktionierte der Kurierdienst zwischen
Zagreb und Bern anfänglich nicht einwandfrei. Zum anderen war Kästli
bereits vor dem Zusammenbruch des Unabhängigen Staates Kroatien
in die Schweiz geflüchtet. Durch seine breiten Kontakte sowohl zu
kroatischen als auch zu deutschen und italienischen Kreisen
erhielt der schweizerische Konsul immer wieder Informationen, die
ihm die verschiedenen Interessen der einzelnen Parteien und
Perspektiven des Landes vor Augen hielten. Diese Informationen
finden sich in den Berichten an das EPD wieder. Sie deuten viele
Ereignisse jedoch nur, ohne ein vollständiges Bild zu vermitteln.
Deshalb müssen die Quellen Kästlis durch die hier zur Verfügung
stehenden Werke ergänzt und auf ihre Richtigkeit geprüft werden.
Dies
ist zugleich eine der Fragestellungen dieser Arbeit: Wie weit sind
die Berichte Kästlis historisch verlässlich und welche persönliche
Meinung hatte er von der politischen Lage, vom Land und vom Volk?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie er die einzelnen
kroatischen Kräfte beurteilte und mit welchen er sympathisierte.
Weiter soll ausgeleuchtet werden, wie er die Rollen Deutschlands
und Italiens in Kroatien darstellte und wie er die Auswirkungen
des Einflusses der Achsenmächte auf die Beziehung Kroatiens zur
Schweiz bewertete. Zu guter letzt soll diese Arbeit noch
aufzeigen, welche Arten von Beziehungen es zwischen der Schweiz
und Kroatien gab, wie sich diese gestaltet haben und wie weit sie
von Kästli unterstützt und gefördert wurden. Diese
Fragen sollen klären, ob Italien und vor allem Deutschland, die Königsmacher
des Ustascha-Regimes, nicht nur die zwei entscheidenden Einflussmächte
in diesem Land waren, sondern ob sie auch jeder Zeit über dessen
Schicksal bestimmten. Des Weiteren soll geklärt werden, ob die
Ustascha-Regierung nur begrenzte Gewalt über ihr Territorium
hatte und in dieser Hinsicht auch ihr Einfluss auf politische und
wirtschaftliche Fragen jeweils von der Haltung der beiden Achsenmächte
abhängig war. Basierend
auf dem biografischen Material aus dem Bundesarchiv werde ich im
ersten Kapitel Aufschluss über die Person Kästlis und sein Bild
von Kroatien geben. Meine Arbeit werde ich anschliessend in zwei
Teile gliedern. Im ersten werde ich die innenpolitische Lage
Kroatiens zur Zeit seiner Unabhängigkeit (1941-1945) betrachten.
Dabei untersuche ich die Haltung und den Einfluss der zwei Achsenmächte
in diesem Land. In dieser Hinsicht wird die Konkurrenz zwischen
den Deutschen und den Italienern auf politischer und
wirtschaftlicher Ebene beleuchtet. Einen weiteren Bestandteil
dieses Kapitels bildet die Darstellung der vier wichtigsten
innenpolitischen Kräfte (Ustascha-Regime, Bauernpartei,
Tschetniks und Partisanen) im Unabhängigen Staat Kroatien.
Hierbei wird aufgezeigt, wie diese zueinander standen. Im zweiten
Teil werde ich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kroatien
untersuchen. Besondere Beachtung schenke ich der
Anerkennungsfrage, den Wirtschaftsbeziehungen und der Presse
dieser beiden Länder. Die
Geschichte des Unabhängigen Staates Kroatien war bisher
vorwiegend Gegenstand einer historisch kontroversen
Auseinandersetzung zwischen der jugoslawisch-kommunistischen Seite
und der nationalkroatischen Emigration. In der Föderativen
Volksrepublik Jugoslawien schenkte man vor allem zwei Aspekten
dieses Themas Beachtung: Zum einen dem Verrat an der
jugoslawischen Sache, der Kollaboration mit den Achsenmächten und
den Verbrechen an der jugoslawischen Bevölkerung. Zum anderen dem
Volksbefreiungskampf der Partisanen gegen die Ustascha und die
Achsenmächte. Bei den Arbeiten der exilkroatischen Seite handelt
es sich um Memoiren und Selbstdarstellungen sowie um Versuche
einer Gesamtdarstellung der kroatischen Geschichte, in der die
Ustascha-Zeit entweder gerechtfertigt oder betont zurückhaltend
erwähnt wird. Beiden Richtungen liegt eine antikommunistische
Tendenz zu Grunde. Die
übrigen Darstellungen zu diesem Thema kommen vorwiegend aus dem
deutschsprachigen Raum und sind ältere Werke, mit Ausnahme der
Dissertation von Marijan Rogić[1],
die aber starke nationalkroatische Züge aufweist. Aus den bisher
erschienen Werken sticht vor allem jenes von Ladislaus Hory und
Martin Broszat[2]
hervor. Es ist eigentlich das einzige, das einen allgemeinen und
sachlichen Überblick über die Periode des kroatischen Staates während
des Zweiten Weltkrieges gibt. Erwähnenswert sind noch die
Darstellung von Gert Fricke[3],
der sich auf die Quellen des deutschen Bevollmächtigten Generals
in Kroatien General Glaise von Horstenau stützt, und jene von
Rudolf Kiszling[4],
der in einem Gesamtüberblick die Geschichte der Kroaten
wiedergibt. Beide Werke weisen indes eine gewisse
deutschfreundliche respektive italienischfeindliche Tendenz auf.
Auffallend ist, dass bis zum heutigen Tag noch keine nennenswerte
Gesamtdarstellung über den Unabhängigen Staat Kroatien aus
italienischer Sicht vorliegt. Es gibt zu diesem Thema lediglich
einige Aufsätze, die diese Zeit knapp und teilweise unvollständig
behandeln. Spezifisch zu den schweizerisch-kroatischen Beziehungen
liess sich keine Literatur finden, abgesehen von einer kürzlich
erschienen Lizentiatsarbeit[5]
zu diesem Thema, welche den Schwerpunkt auf die konsularischen
Beziehungen legt. Diese
Arbeit stützt sich vorwiegend auf schweizerisches
Quellenmaterial. Bei den nicht edierten Quellen handelt es sich um
Schriften aus dem Schweizerischen Bundesarchiv in Bern. Die
gedruckten Quellen sind meist amtliche Blätter und Berichte, wie
das Bundesblatt[6] und die Diplomatischen
Dokumente[7]
der Schweiz. Des Weiteren werden Berichte verschiedener
schweizerischer und kroatischer Zeitungen und Zeitschriften
verwendet. [1]Rogić, Marijan. Die Idee des kroatischen Staates bei Ante Pavelić. Unter Berücksichtigung besonderer historischer Tatsachen sowie des Staats- und des Selbstbestimmungsrechts. Diss. München 1983. [2]Hory, Ladislaus/ Broszat, Martin. Der kroatische Ustascha-Staat 1941-1945. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 8, Stuttgart 1964. [3]Fricke, Gert. Kroatien 1941-1944. Der „Unabhängige Staat Kroatien“ in der Sicht des Dt. Bev. Generals in Agram, Glaise von Horstenau. Freiburg 1972. [4]Kiszling, Rudolf. Die Kroaten. Der Schicksalsweg eines Südslawenvolkes. Graz/Köln 1956. [5]Deleze, Karine Alexandra. L’episode croate. Les relations consulaires avec la croatie durant le deuxième guerre mondiale.Lizentiat. Fribourg 1998. [6]Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Hg. von der Bundeskanzlei. Bern 1941-1945. [7]Diplomatische Dokumente der Schweiz. Bände 13-15. Bern 1992. |